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Interview mit Lee Suan Hiang
Chief Executive Officer, National Arts Council
Präsident des Organisationskomitees SB 2006
Von G. Haupt & P. Binder, Universes in Universe
September 2006


Universes in Universe: Singapur erhebt den Anspruch, auf dem Weg von einer verarbeitenden Wirtschaft zu einer auf Wissen und Innovation basierenden zu sein, die ihre Entsprechung in einem vielfältigen und dynamischen, weltoffenen kulturellen Leben findet. Ist die Entscheidung, eine solche Biennale zu veranstalten, in diesem Kontext zu sehen?

Lee Suan Hiang: Da wir uns im Übergang von der Industriegesellschaft zu einer auf Wissen basierenden, durch Innovation bestimmten Phase der Entwicklung befinden, ist es notwendig, dass die Menschen hier ihr Kapital an Imagination entfalten, über den Tellerrand hinausschauen, querdenken, kreativ und erfindungsreich sind. Tatsächlich trainieren die Künste auf sehr wichtige Weise die Imagination, bringen die Leute dazu, überkommene Konventionen in Frage zu stellen, auf neue Weise zu denken und neue, andere Dinge zu tun. Die Biennale hat die Menschen auf vielfältige Weise dazu gebracht, so manches auf eine andere Art zu betrachten, so z.B. Aspekte des Glaubens. Die verschiedenen Kunstwerke und Ausdrucksweisen stehen für die Vielfalt, die die Realität der heutigen Welt ausmacht.

Die Biennale hat zwar gerade erst begonnen, doch lässt sich bereits erkennen, dass sie eine Menge Leute anspricht und deren Phantasie anregt. Sicher hatten viele Einwohner von Singapur zuvor nichts mit zeitgenössischer Kunst zu tun, doch da die Werke an so vielen Orten in der Stadt zu sehen sind, kamen viele von ihnen mit der Biennale in Kontakt, nicht nur als Publikum, sondern auch direkt als freiwillige Helfer.

Aber es sei betont, dass die Biennale im Grunde schon zwei Jahre zuvor begonnen hat. Sie ist als ein Weg konzipiert und nicht als ein zu erreichendes Ziel, sie soll ein Prozess sein, der die Leute hier und aus anderen Ländern an das aktuelle Kunstgeschehen heranführt. Durch die Encounters in Vorbereitung der Biennale und die Art und Weise ihrer Organisation, z.B. die Einbeziehung so vieler reliöser Stätten, ist es uns gelungen, unterschiedliche Segmente der Bevölkerung, sowohl junge wie auch ältere Menschen, zu erreichen. Das alles ist mit einem Lernprozess verbunden, bei dem die Leute lernen, was es mit einer solchen Biennale auf sich hat und etwas vom gegenwärtigen Kunstdiskurs mitbekommen.

Die Biennale ist also facettenreich, vieldimensional, berührt die Menschen auf verschiedene Weise. Wir wollten sie nicht nur für die Künstler und die internationalen Besucher ausrichten, sondern sie soll insbesondere auch den Menschen hier etwas bringen und von ihnen als wichtig empfunden werden, und ich denke, das ist tatsächlich der Fall. Zum Beispiel ein Techniker, der die Ausstellung mit aufgebaut hat, war so begeistert, dass er sogar seine Großmutter mitbringen wollte. Als ich am Sonntag in der Kirche war, kam eine Dame und gratulierte mir zur Biennale. Sie sagte, sie sei so begeistert davon und so stolz darauf und so glücklich darüber, dass in dieser Stadt so etwas passiert.

Doch stehen wir erst am Anfang, bei dieser Biennale haben wir noch einige Wochen vor uns, und wir können natürlich nicht erwarten, alles was wir uns vorgenommen haben mit nur einer solchen Veranstaltung zu erreichen. Aber es ist Meilenstein, denn sie hat die Wahrnehmung vieler Menschen schon verändert. Anderswo in der Welt wird Singapur vor allem als effiziente Geschäfts- und Wirtschaftsmetropole wahrgenommen. Ich denke, diese Biennale wird wesentlich dazu beitragen, dass Singapur auch als dynamisches und kreatives Land gesehen wird, in dem man seinen Spaß haben kann. Wir denken, Kunst und Business bereichern sich gegenseitig. Wir wollen eine globale Geschäftsmetropole mit von überall herkommenden Talenten sein. Und global agierende Talente und Geschäftsleute wollen in einem Umfeld tätig sein, in dem es gutes Essen, guten Wein, gute Musik und gute Künste gibt. Dafür braucht man die magische Anziehungskraft der Künste. Die Biennale ist eine von den Veranstaltungen, mit denen wir ein solches Image promoten. Sie ist ein internationales Ereignis, das viele Besucher aus Übersee anzieht. Ich denke, in dieser Hinsicht haben wir es geschafft, alle möglichen Interessengruppen zu beeindrucken.


UiU: In der Biennale gibt es eine Reihe auffällig starker Werke von Künstlern aus Singapur, z.B. von Ho Tzu Nyen und Donna Ong. Welche Auswirkungen erwarten Sie von dieser internationalen Ausstellung für die Kunstszene Ihres Landes?

Lee: Die Biennale ist für die hiesigen Künstler eine hervorragende Plattform, um mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern zu interagieren und größere internationalen Aufmerksamkeit zu erlangen. Darüber hinaus erwarte ich, dass das Publikum in Singapur offener für neue Kunstauffassungen wird. Eine solche Interaktion wird neue Ideen hervorbringen und zur Stärkung des Kunstgeschehens in Singapur beitragen.


UiU: Sie sind Vorstandsmitglied der IFACCA (International Federation of Arts Councils and Culture Agencies) und Vorsitzender der asiatischen Sektion. Denken Sie, dass die Biennale die Position Singapurs als Vermittler zwischen Südostasien und dem internationalen Kunstgeschehen stärkt?

Lee: Wir wollen eine einzigartige globale Stadt der Künste sein und um das zu erreichen. können wir nicht nur die einheimische Bevölkerung im Blick haben. Wir wollen die Kunst Singapurs in der Welt bekanntmachen, aber auch die Kunst der Welt zu uns holen. Unsere Geschichte und unsere geographische Lage erlauben es uns, auf sinnvolle Weise vernetzt zu sein. Wir sind mehr östlich als der Westen und mehr westlich als der Osten. Wir sind ein multiethnisches, multikulturelles, multireligiöses Gemeinwesen, und hier leben Asiaten unterschiedlicher Herkunft. Aus all diesen Gründen gibt es gute Voraussetzungen dafür, dass die Biennale die Verknüpfungen unserer Region mit der internationalen Kunstszene wesentlich fördert.


UiU: Welche Erwartungen haben Sie hinsichtlich möglicher wirtschaftlicher Effekte der Biennale?

Lee: Hinsichtlich der Kunst bemühen wir uns immer um eine ganzheitliche Herangehensweise: Kunst der Kunst wegen, Kunst fürs Geschäft und Kunst für die Gemeinschaft. Das ist so etwas wie unser ABC.

Da sich unser Land entwickelt sich, wohlhabender wird und physische Armut erfolgreich lindern kann, wollen wir uns jetzt mehr der Armut an Zielsetzungen widmen. Junge Menschen haben heutzutage mehr materielle Möglichkeiten, reisen öfter, kommen mit anderen Ideen in Kontakt und wollen demzufolge auch mehr Raum für den eigenen Ausdruck und für die Selbstverwirklichung haben, um ihren eigenen Träumen nachzugehen. Deswegen ist die Kunst der Kunst wegen ein wichtiger Teil unseres sozialen Ökosystems. Sie gehört zur Seele des Landes und unterstreicht die ureigenen Werte des künstlerischen Schaffens.

Der zweite Teil unseres Programms sind die mit der Kunst verbundenen ökonomischen Aspekte. Auf dem Weg von der industriellen zur mehr durch Innovation bestimmten Entwicklungsphase müssen die Leute kreativer, innovativer und phantasievoller werden. Kunst ist in dieser Hinsicht ein wichtiger Katalysator. Desweiteren erbringt die Kunst auch wichtige wirtschaftliche Beiträge in kreativen Industriezweigen, wie dem Medienbereich und den angewandten Künsten. Wir haben die Absicht, den Anteil solcher kreativen Wirtschaftsbereiche am Bruttosialprodukt von derzeit 3% auf 6% zu steigern. Auch diesbezüglich ist die Biennale hilfreich, um Singapur in der Welt bekanntzumachen.

Gleichzeitig wollen wir auch die Rolle der Kunst bei der Entwicklung unseres Gemeinwesens stärken. Indem die Geschichte Singapurs durch die Künste erzählt wird, können wir sie von einer Generation zur anderen weitergeben und in diesem Prozess den Menschen ein Gefühl von Stolz vermitteln, die nationale Identität entwickeln und helfen, die Vergangenheit zu bewahren und die Zukunft zu definieren. Wenn wir keine eigene Kunst hätten, wenn wir das anderen Menschen überlassen würden, etwa dem Fernsehen oder den Hollywoodfilmen, werden diese anderen bestimmen, wie wir uns selbst zu sehen haben. Deswegen spielt die Kunst eine wichtige Rolle in der sozialen Entwicklung, bei sozialen Zusammenhalt, bei der Entwicklung des Gemeinwesens sowie bei der Bewahrung der Verganheit und der Bestimmung der Richtung für die Zukunft.


(Aus dem Englischen: Binder & Haupt)

 

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