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SB2006 im Zeichen des "Glaubens"
Interview mit Fumio Nanjo, künstlerischer Leiter
Von G. Haupt & P. Binder, Universes in Universe
Januar 2006


Der japanische Kurator und Kunstkritiker Fumio Nanjo hat ausgiebig Erfahrungen mit großen Ausstellungen, so u.a. als Mitinitiator der Yokohama Triennale (2001) und der Taipei Biennale (1998), als Kommissar des japanischen Pavillons bei der Biennale Venedig (1997), Ko-Kurator der 3. Asien-Pazifik Triennale für Zeitgenössische Kunst (1999), Mitglied des Auswahlkomitees der Sydney Biennale (2000). Sein guter Ruf in der internationalen Kunstszene veranlasste die Veranstalter der Singapur Biennale, ihn um ein Konzept für deren erste Edition zu bitten und zu Gesprächen einzuladen, was schließlich zu seiner Verpflichtung als künstlerischer Leiter führte.

Nachdem Nanjo und sein Team Anfang Dezember 2005 in Singapur das Thema, einige Ausstellungsorte, die ersten bestätigten Teilnehmer und weitere Aspekte der Singapur Biennale 2006 vorgestellt hatten (siehe Encounters 04 [1]), gab er uns dieses Interview.


Universes in Universe: Offenbar glauben Sie, dass Singapur gute Erfolgsaussichten hat, eine neue Biennale zu etablieren. Warum?

Fumio Nanjo: Tatsächlich sehe ich gute Voraussetzungen, hier solch ein großes Kunstereignis zu starten. Für dessen Kontinuität ist finanzielle und institutionelle Stabilität notwendig, und die ist hier vorhanden. Darüber hinaus ist Singapur ein wichtiges Zentrum in der Region, ein Knotenpunkt von Netzwerken und ein Umschlagplatz für Informationen, so dass man sehr effizient arbeiten kann und ein hohes Maß an internationaler Ausstrahlung garantiert ist.


UiU: In der internationalen Kunstszene ist aber die Meinung verbreitet, es gäbe schon mehr als genug Biennalen, Triennalen und sonstige periodische Ausstellungen...

FN: Davon sollte man sich nicht irritieren lassen. Niemand ist in der Lage, zu allen Biennalen und Triennalen zu reisen, und wohl kaum mehr als 100 Leute werden es sich leisten können oder die Zeit haben, auch nur die 20 bekanntesten davon zu besuchen.

Unsere Hauptzielgruppe ist ohnehin nicht das internationale Fachpublikum, das natürlich herzlich eingeladen ist und auf dessen Interesse und Akzeptanz wir hoffen. Wir richten diese Biennale aber in erster Linie für die Leute in Singapur aus. Ihnen wollen wir das internationale Kunstgeschehen näherbringen, vor allem mit ihnen wollen wir die Begeisterung und den Spaß teilen, Kunst aus aller Welt in der Stadt sehen zu können.

Damit sie von vielen Menschen zur Kenntnis genommen und zu einem allgemein beachteten Ereignis wird, muss eine Ausstellung eine bestimmte Größenordnung haben. Erst dann wird überall darüber geschrieben und berichtet, was Neugier erzeugt und dazu führt, dass es "angesagt", "in" ist, die Schau zu besuchen und mit anderen darüber zu reden. Und selbstverständlich erleichtern es solche Erfolgsaussichten, das erforderliche Budget zu beschaffen. Obschon dieses ziemlich hoch sein muss, erscheint die Summe viel plausibler, wenn man sie zu der hohen Zahl der damit erreichten Menschen ins Verhältnis setzt. Ich nenne das "maßstabgerechte Leistung".


UiU: Die erste Singapur Biennale ist eine der offiziellen Veranstaltungen, die parallel zu den Jahrestreffen der Gouverneursräte des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbankgruppe stattfinden [2]. Ist dieser spezifische Kontext bei Ihrem Konzept von Belang gewesen?

FN: Ich habe dieses Gipfeltreffen der Finanzwelt zwar im Kopf, aber es hat keinerlei Einfluss auf die Ausstellung und unsere kuratorialen Entscheidungen. Das wäre sicher anders, wenn das Thema der Biennale ein explizit politisches wäre, aber wir gehen nicht in diese Richtung, sondern orientieren uns vielmehr am Alltagsleben und an den Kulturen der Menschen hier in Singapur und anderswo auf der Welt.


UiU: Es ist aber durchaus bemerkenswert, dass während dieses durch und durch materialistisch ausgerichteten Finanzgipfels eine Biennale mit einem ausdrücklich spirituellen Thema stattfindet...

FN: Ja, das ist doch ein guter Ausgleich... Nach einem langen Verständigungsprozess mit dem Kuratorenteam und den Veranstaltern haben wir uns für das Thema "Belief" (Glaube) entschieden. Singapur ist eine multikulturelle Gesellschaft, in der viele Glaubensrichtungen friedlich koexistieren. Diesen hervorragenden Ausgangspunkt wollen wir auf Reflexionen über den Zustand der Welt ausweiten. Wir fragen danach, woran Menschen aus unterschiedlicher Kulturen und mit verschiedenen Wertvorstellungen heutzutage glauben. In der Biennale sollen diverse Ausprägungen und Ansätze von Glaubenssystemen mit künstlerischen Mitteln untersucht werden. Das geht über die Religionen als solche hinaus und erstreckt sich auf Kategorien wie Fortschritt, Entwicklung, Wohlstand, Macht, Natur, Tradition, Familien etc. Im Namen des Glaubens entstanden und entstehen Konflikte und Spannungen, aber wenn man sich mehr an die Essenz des Glaubens halten würde, könnte das durchaus ein Weg zu einem besseren Miteinander sein.

In gewissem Sinne ist auch die Kunst ein Glaubenssystem. Die Künstler und überhaupt alle in die Kunst Involvierten sind so etwas wie Gläubige, und die Museen, Galerien und Ausstellungshallen sind ihre Tempel.

Wir hoffen also, dieses Thema sehr breit anlegen zu können, so dass es als Ausgangspunkt für das Nachdenken über viele aktuelle Fragen der Welt von heute dient.


UiU: Am Thema "Glaube" ist die Auswahl eines Teils der Ausstellungsorte orientiert [3]. Darunter sind mehrere religiöse Stätten, aber auch Orte eines profanen Glaubens sind im Gespräch, z.B. Konsumtempel. Werke der Biennale werden in regelmäßig von Gläubigen aufgesuchten Gebetsstätten zu sehen sein. Erwarten Sie von den Künstlern, dass sie sich direkt auf den jeweiligen Kontext beziehen? Könnte es nicht zu Konflikten kommen?

FN: Die Künstler müssen sich nicht unmittelbar auf diese Orte beziehen, obschon sie natürlich gewisse Beziehungen zum konkreten Umfeld herstellen sollten, das aber eher in einem metaphorischen Sinne. Wenn die Werke zu direkt wären, könnte es schneller zu Konflikten kommen. Aber natürlich müssen die Künstler die Religion der jeweiligen Gebetsstätte respektieren, und die Priester und Gläubigen, die jeden Tag zum Beten dorthin gehen, dürfen nicht gestört werden.

Das verlangt von den Künstlern große Sensibilität und auch Bescheidenheit, denn ihre künstlerischen Interventionen in den religiösen Stätten sollen nicht aufdringlich sein und versuchen, alle Aufmerksamkeit zu erheischen. Dennoch werden diese Werke die Besucher anziehen, sie für die jeweilige Religion interessieren und vielleicht sogar den Weg zu einem Dialog mit den Gläubigen bahnen.

Und womöglich beginnen diejenigen, die oft zum Gebet an diesen Ort kommen, gewisse Aspekte ihrer Religion etwas anders zu sehen. Immerhin besteht eine Rolle der Kunst ja darin, den Blickwinkel der Menschen zu weiten und sie alltägliche Dinge in einem anderen Lichte sehen zu lassen. Ich erinnere mich an ein Erlebnis, das ich während der Yokohama Triennale hatte. Ein ältere Dame kam aus der Ausstellung und sagte: "Oh, jetzt könnte es sein, dass sogar der Abfall auf der Straße anders aussieht - so wie Kunst."


UiU: Angesichts dieser sehr verschiedenen Orte wird es gewiss nicht einfach sein, einen in sich stimmigen Gesamteindruck der Singapur Biennale 2006 zu komponieren. Werden Sie den Weg von einem Ausstellungsort zum anderen in Ihr Konzept einbeziehen? Befürchten Sie nicht, dass sich die Besucher unterwegs den vielen Reizen und Attraktionen der Stadt hingeben, statt Ihrer Dramaturgie zu folgen?

FN: Wir denken schon, dass wir anhaltendes Interesse und Neugier auf die jeweils nächste Station der Biennale hervorrufen können. Die Kunst wird sich deutlich von den üblichen Attraktionen Singapurs unterscheiden, nicht so zuckersüß sein, wie die Schaufenster der Einkaufszentren, sondern rätselhaft, verstörend, irritierend, auch ein wenig zynisch.

Es ist ja gerade Teil unseres Konzepts, die Biennale eng mit Singapur als Umfeld und Kontext zu verbinden. Deshalb ist die Stadt gleichsam eine Bühne, die man zwischen den Ausstellungsorten nicht nur beiläufig zur Kenntnis nimmt, sondern auf der selbst so manches passieren wird, wie z.B. Arbeiten im öffentlichen Raum, vielleicht Performances. Wenn wir Kunst in der Stadt platzieren, entstehen dadurch Bedeutungsebenen, die etwas Neues über die Stadt selbst vermitteln.

Singapur hätte derzeit ohnehin keinen großen Ausstellungsraum, der eine ganze Biennale fassen könnte, wie das z.B. in São Paulo der Fall ist. Es geht aber nicht darum, hier aus der Not eine Tugend zu machen, sondern es ist meine feste Überzeugung, dass die Kunst bei einer solchen Ausstellung eine Verbindung mit dem Austragungsort eingehen muss.


UiU: Wieviel Künstler werden letztendlich in der Biennale vertreten sein?

FN: Derzeit haben wir noch so um die 150 in der engeren Auswahl, aber zum Schluss werden es kaum mehr als 70 bis 80 sein können. Wir wollen das Publikum nicht überstrapazieren. Es soll möglich sein, die gesamte Biennale in 2 bis 3 Tagen in Ruhe ansehen und erleben zu können.


UiU: Anfangs hieß es, die Singapur Biennale 2006 sei auf den Äquatorgürtel fokussiert. Ist das auch weiterhin ein Kriterium bei Ihrer Auswahl von Künstlern?

FN: Sicher wird ein erheblicher Teil der Künstler aus diesen Regionen kommen, aber das Konzept ist jetzt viel weiter gefasst und für die ganze Welt offen. Singapur und Südostasien bleiben allerdings ein spezieller Fokus. Die Biennale soll ja auch den Dialog zwischen Künstlern verschiedener Herkunft fördern und aus ganz unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kontexten entstandene Werke zueinander ins Verhältnis setzen. Gerade war ich in Brasilien und Argentinien und habe gesehen, welch ausgeprägt eigenen Charakter die Kunst dort hat. Zum Beispiel sind mir eine starke Tradition des Konstruktivismus und interessante Auffassungen der Performancekunst aufgefallen.


UiU: Wie läuft in der nächsten Zeit der Prozess der Endauswahl ab? Hat jetzt die Suche nach bestimmten Werken für die jeweiligen Ausstellungsorte Vorrang?

FN: Das kann man so nicht sagen. Unsere Kriterien sind sowohl durch das Thema als auch durch die konkreten Orte bestimmt. So versuchen wir u.a., in den religiösen Stätten insbesondere Arbeiten der international bereits bekannten Teilnehmer der Biennale zu platzieren, die dadurch in einen neuen Kontext gebracht werden. Sicher ist es selbst für das Fachpublikum, das Werke dieser Künstler schon oft gesehen hat, spannend, sie nun etwa in einem Hindu-Tempel zu erleben. Auch das ist ein für die Kunstspezialisten aus aller Welt interessanter Aspekt dieser Biennale. Jüngere Künstler werden wir hingegen eher in neutraleren Räumen präsentieren, in denen sie keine große Rücksicht auf ein bestimmtes Umfeld nehmen müssen.


UiU: Können Sie Ihre persönlichen Erwartungen an die Singapur Biennale 2006 ganz kurz zusammenfassen?

FN: Natürlich möchte ich, dass die Biennale ein großer Erfolg wird. Und wenn sie in gewisser Weise zu einem neuen Modell einer internationalen Ausstellung werden könnte, würde mich das glücklich machen. Damit meine ich u.a. eine bestimmte Ausgewogenheit, Mehrdimensionalität, die Beachtung sowohl für das Lokale wie für das Internationale und auch die Verbindung der Kunst mit dem Leben der Menschen.


Links:

1. Encounters 04.
http://universes-in-universe.de/car/singapore/deu/2006/encounters/04/index.htm

2. Singapore 2006. http://singapore2006.org

3. Siehe Ausstellungsorte.
http://universes-in-universe.de/car/singapore/deu/2006/ort/index.htm


(Aus dem Englischen: Binder & Haupt)

 

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