Universes in Universe - Welten der Kunst

49. Biennale Venedig
10. Juni - 4. November 2001

Venedig / 2001 / Plateau / Arsenale

 

 
Tania Bruguera
Aus einem Interview von Pat Binder und Gerhard Haupt.

Meine Arbeit ist eine Antwort auf das Gedicht »La Isla en Peso«, das Virgilio Piñera im Jahre 1943 schrieb.

Mit diesem Gedicht haben sich in Kuba schon viele bildende Künstler, so Tonel, José Bedia und Sandra Ramos, sowie einige Schriftsteller auseinandergesetzt. Es ist zu einer Art Ikone geworden. Es bezieht sich auf die Idee der Insularität und darauf, wie wir Kubaner sind. Als ich es gelesen hatte, hat es mich fasziniert, und ich fand es sehr aktuell. Es sagt etwas über schwierige soziale Zustände, über all das, was es in Kuba früher gab, über Prostitution, den Einfluss des Fremden, die Beziehungen zwischen Kubanern und Ausländern, usw.. Mir schien es, als wenn es an dem Morgen, an dem ich es las, gerade erst hätte geschrieben sein können, und das hat mich beeindruckt. Dann kam mir in den Sinn, dass wir statt voranzukommen vielleicht eher zurückfallen. Meine Auseinandersetzung mit diesem Gedanken ging aber nicht in Richtung einer Illustration des Gedichts, so wie es viele getan haben, sondern ich bemühte mich um eine aus der Gegenwart herrührende Antwort, die deutlich werden lässt, wie ich selbst all das empfinde, worüber Piñera schreibt.

Ich wählte 8 Verse aus, denn die 8 ist das Symbol der Unendlichkeit, aber auch des Todes. Ich wählte auch verschiedene Tageszeiten, denn das Gedicht hat den Ablauf von 24 Stunden in Kuba. Ich benutzte das wechselnde Licht des Tages, um dieses zu betonen, und gestaltete verschieden Antworten mit einfachen aber starken Gesten. Die Bilder [auf den Monitoren] sind fast bewegungslos. Das gefällt mir aus verschiedenen Gründen: erstens, weil es sein kann, dass die Leute sie für Fotos halten. Außerdem ist es möglich, dass sie glauben, sie hätten sie schon gesehen. In Kuba kommt so etwas öfter vor. Es gibt viele Leute, die sich einbilden, sie hätten alles schon gesehen und dann nur kurz hinschauen und weitergehen. Zweitens, weil das Gedicht auch davon spricht, dass in Kuba die Zeit sehr langsam verstreicht. Und das ist wahr, in Kuba lebt man in einem anderen Rhythmus, und diesen wollte ich auch nach Venedig bringen.

Der Ton der Installation ist das Geräusch von Personen, die vorrübergehen und reden, das ich am Computer bearbeitet habe. Viele haben mir gesagt, es würde jetzt nach einer Fabrik oder einem Schlachthof für Schafe klingen. Ich wählte es aus, weil ich einen Kontrast zu den eher poetischen Bildern schaffen wollte. Ich denke, dieser Ton deutet in gewisser Weise an, was wir in Kuba sind - ein wenig so wie die Schafe ... wir haben eine Unterwerfung verinnerlicht und lassen die Dinge mit uns geschehen. Deswegen glaube ich, dass dieses Gedicht nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt hat ... denn so sind wir ... und wir haben uns kaum verändert.

Die Arbeit habe ich gerade in Havanna gezeigt. Es ist immer gut, die Ideen vorher auszuprobieren. Und dort kennen mich alle, und wie man weiß, sind sie sehr kritisch. Ich zeigte sie in der Casa de las Américas. Ich verdunkelte den Raum, und es funktionierte sehr gut, denn am Tag der Eröffnung, waren es die Leute selbst, die die Performance machten. Sie gingen wie Schafe, in Gruppen, sich an den Händen haltend, weil sie nichts sahen. Sie bewegten sich sehr langsam, genau wie meine Bilder. Mich interessiert es, meine Idee von Performance zu ändern, und dass nicht nur ich diejenige bin, die etwas macht, sondern die Zuschauer sich aktiver beteiligen.

Bei dieser Biennale habe ich mich im Gegensatz zu so vielen Künstlern, die ihr eigenes Ego und ihre persönliche Befindlichkeit ausstellen möchten, dazu entschlossen, auf einen anderen Künstler aufmerksam machen, in diesem Falle auf Virgilio Piñera. Wann immer ich über meine Arbeit rede, spreche ich über sein Gedicht, das jetzt viele lesen möchten.
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© Interview, Übersetzung, Fotos:
Gerhard Haupt & Pat Binder

 

 

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