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Kunsterfahrung
Text der Kuratorin María de Corral
(Presseinformation der Biennale von Venedig)

Die Ausstellung im Gelände des Italienischen Pavillons will keine ziellose Abhandlung über die zeitgenössische Kunst darstellen, im Gegenteil ist es dessen Beabsichtigung vollkommen offen gegenüber unterschiedlichen Kunstformen zu sein, um Erfahrungen, Ideen und Überlegungen auszutauschen und im Fall auch anzuregen. Meine Hoffnung ist es, dass die labyrinthische Entwicklung der Kunst nicht als abgeschlossenes Ereignis angesehen wird sondern eher wie ein Prozess, der von den Beziehungen zwischen verschiedenen Menschen, Formen, Ideen und Dimensionen bestimmt wird, und darum einem Forschungszentrum gleicht anstatt einer Menge von Sicherheiten.

In diesem Sinn soll die Ausstellung von Intensität sprechen und jegliche Kategorien auslassen. Ich will weder eine geschichtliche noch eine lineare Ausstellung veranstalten; stattdessen möchte ich existierende Verhältnisse zwischen Künstlern verschiedener Generationen offenbaren, die an ähnlichen Kunst- und Lebenskonzeptionen arbeiten, wodurch Reaktionen entsprechender Intensität und Besessenheit bewirkt werden. Demnach strebe ich keine Konzeptausstellung an noch soll sich dessen Inhalt selbst rechtfertigen; die Ausstellung soll Überlegungen und Gefallen anregen. Ich versuche jene Themen auszustellen, welche die heutige Gesellschaft kümmern und verzweifeln und die die Künstler wirklichkeitstreu, poetisch oder visionär ausdrücken können.

Mich interessieren jene Ideen, die einem Haufen von Reste, Fragmente und Versuche gleichen; jene Kunstwerk, die es dem Besucher ermöglichen eine eigene ästhetische Erfahrung zu machen; jene Künstler, die unsere Einbildungskraft erneuern und stärken, so dass wir neue Wege des Lebens und des Empfindens erfahren können.

Ich will die Ausstellung nicht auf eine mathematische Aufteilung der beteiligten Künstler per Nationen und Kontinenten stützen, da dies zu einem falschen Abbild der heutigen Universalität führen würde. Im Gegenteil dazu habe ich beschlossen weiterhin mit Künstlern zu arbeiten, die mich auf meiner künstlerischen Bahn begleitet haben; zudem habe ich noch viele andere Namen auf der Liste ergänzt, darunter viele junge Künstler.

Heutzutage teilen die Künstler nicht den Stil, sondern den Versuch einer persönlichen Ästhetik, einer individuellen Wirklichkeit und eigener formaler Notwendigkeiten. Die Kunstszene hat somit die Herausforderung der Gegenwart entgegengenommen, welche eine gründliche Auseinandersetzung mit den Ereignissen der letzten vier Jahren verlangt.

Es ist äußerst schwierig in der Kunst des letzten Jahrzehnts eine gemeinsame Theorie oder einen dominierenden Stil zu entdecken, was eigentlich widersinnig scheint, insofern dagegen die Beunruhigung der Gesellschaft für die möglichen Folgen des Multikulturalismus und der Globalisierung allen gemeinsam sind. Die Künstler müssen den Sinn der Kunst und die eigene Nützlichkeit innerhalb einer Medien-Welt begründen, wo die Wirklichkeit nicht mehr außerhalb der Abbildung und der Wiedergabe definierbar scheint.

Ich habe den Titel Kunsterfahrung ausgewählt, weil ich den Besucher an jenen Themen teilnehmen lassen möchte, die die Künstler alltäglich in ihren Kunstwerken behandeln:
- die Sehnsucht als Verlustsempfindung gegenüber einer nicht wiederkehrbaren Vergangenheit, die anhand einer metaphorischen Sprache ausgedrückt wird;
- der Körper und seine erneute Bestimmung, die Einführung der Fragmentierung, der Auflösung und des Todes;
- die Macht, die Herrschaft und die Gewalttätigkeit im Alltag eines jeden Individuums;
- die Ironie als Mittel der sozial-politischen Kritik der Gegenwart;
- die Benutzung der Bilder, des Films und der Erzählungen über die Vergangenheit gleichsam einem gigantischen Archiv, wodurch unendliche Neubestimmungen und Aneignungen der Geschichte realisiert werden können.

All diese Themen liegen eigentlich außerhalb des Kunstgebietes, obwohl sie im künstlerischen Schaffen enthalten sind; dadurch soll die Anwesenheit des Gewöhnlichen und Alltäglichen in der Vielfältigkeit der Kunst erkannt werden. Damit will ich bewirken, dass das Publikum die Qualität des Unerwarteten und Ungewöhnlichen einsieht und sich vielleicht der Möglichkeit überzeugt, an zeitgenössischer Kunst Genuss zu empfinden.

María de Corral
Februar 2005

 

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© Text: María de Corral, Biennale von Venedig; Website: Universes in Universe - Welten der Kunst