documenta X - home 21. Juni - 28. September 1997
Über Kunst oder: Requiem für Goldfische
Cabelos Performance am 20.Juni 1997
im documenta X - Kulturbahnhof.
Von Ute Hermanns

Um 21.30 Uhr sollte die Performance auf dem Bahnsteig des Kulturbahnhofs beginnen, doch wer um 22.00 Uhr kam, war noch zu früh dran. Der Künstler brauchte Dunkelheit - schwierig am fast längsten Tag des Jahres 1997. Außer einer großen runden Glasvase auf viereckigem weißem Gartentisch in der Mitte des Bahnsteigs war nichts zu sehen. In unterschiedlichen Entfernungen zum Glas wurden sechs Stühle zum Teil auf den Gleisen, zum Teil auf dem Bahnsteig aufgebaut. Darauf wurden Filzmützen gelegt, die bald von freiwilligen Statisten über den Kopf gezogen wurden und an denen in Augenhöhe weiße Fäden angebracht waren, die recht lang waren und bis zum Tisch reichten. Um diese Stühle herum gruppierten sich die Zuschauer, auf dem Bahnsteig stehend oder auf der Mauer des Nachbargleises sitzend mit baumelnden Beinen im Schienenbereich gehängt.

Der Künstler verlangte nach mehr Wasser, ein Gehilfe kam schnell gelaufen, er mußte noch mal los um eine weitere Kanne voll zu besorgen. Dann wurde gefummelt: Aus einer Plastiktüte wurden lebende Goldfische in die mit Wasser halb gefüllte Vase geschüttet. Auf den Stühlen nahmen die Statisten Platz und stülpten die Filzmützen über. An die Schnüre der Mützen wurden Gewichte geknotet, diese Gewichte wurden ins Wasser gelegt. Eine Spannung der Fäden zwischen Vase und Statist unter der Mütze, die durch das Gewicht zustande kam, ließ die Grundlage für ein Spinnennetz vermuten - doch der Eindruck erwies sich als falsch, es wurden keine Verbindungen zwischen den Fäden hergestellt. Ungefähr acht Flaschen Sojaöl wurden am Fuß des Tisches plaziert. Der Künstler öffnete eine nach der anderen und schüttete öl ins Glas. Eine dicke Schicht bildete sich und hob sich farblich vom Wasser. Ein besorgter Zuschauer fragte, ob die Fische nun sterben müßten. Er bekam keine Antwort. Zwei Ausstellungsmacher in meiner Nähe kommentierten belustigt, wenn dieses Ereignis in einer anderen Stadt geschähe, wäre der Tierschutzbund schon längst angerückt. Der Künstler holte nun Flaschen mit Brennspiritus aus seiner Tasche. Sie waren nur unter Schwierigkeiten zu öffnen. Er goß den Spiritus in das Bassin. Eine gräuliche Schicht bildete sich zwischen Wasser und Öl. Als die gleiche Menge Alkohol wie öl im Gefäß war, tunkte der Künstler noch einen Faden durch die Ölschicht. Eine gefälschte Dollarnote aus Wachspapier wurde angezündet und auf die ölsehicht gelegt. Spiritus darüber gegossen. Bläuliche Flammen schossen auf und wurden kleiner. Der Künstler leerte eine Flasche Brennspiritus auf dem Bahnsteig aus über den Fäden über der Vase. Die Flammen züngelten blauweiß hoch. Im oberen Teil des Bassins wurde das Feuer durch die Verbindung zum Brennspiritus gespeist.

Die Statisten wurden nun langsam unruhig zumal das Feuer ihnen nahekam. Sie zogen die Mützen hoch, rückten erschreckt mit den Stühlen noch weiter vom Tisch ab. Der Künstler rannte wie besessen um seinen Tisch herum. Ungeachtet der Gefahr, selbst auch in Flammen aufzugehen oder die Statisten mit einem Spiritusspritzer zu Schaden kommen zu lassen, konnte er nicht genug Spiritus verschütten, um sich an den Effekten des Feuers zu erfreuen. Verängstigte Zuschauer traten den Rückzug an, weil sie befürchteten, das Gefäß könne explodieren und sie dabei verletzt werden. Die Zuschauer klatschten Beifall.

Ob die Fische noch am Leben sind, weiß ich nicht. Ich glaube es nicht. Als Zuschauer bin ich Zeuge ihres Todes geworden, ohne meinen Einspruch zu erheben. Ich muß gestehen, daß ich keine große Affinität zu Goldfischen habe, doch sind es Lebewesen, die niemandem schaden. Diese Goldfische jedenfalls haben keinem etwas getan.

Doch was mich noch mehr erschreckt hat, ist die Tatsache, daß die Freude an dem Feuer, an den blauweißlich züngelnden Flammen mich die Fische hat vergessen lassen. Der Effekt ist wichtiger als das tatsächlich Geschehene: die Vernichtung von Leben. Alle waren beteiligt, alle Zuschauer und der Künstler, dem Provokateur und Akteur des Geschehens. Auch wenn die Fäden durchgebrannt sind und das Feuer die Statisten nicht erfaßt hat, so sind auch diese schuldig, sie haben sich bereit erklärt, die Mützen zu benutzen, im Vertrauen darauf, nichts Böses würde geschehen.

Ist diese Performance »o fim da picada«, der Gipfel, das Letzte? Was will sie uns zeigen? Sind wir schon soweit, daß wir es um des Effektes willen zulassen, die Zerstörung von Leben ohne Widerspruch hinzunehmen? Wie lange wird es noch dauern, bevor wieder Menschen »einfach so« sterben werden, weil es Akteure geben wird, die ihren Tod spektakulär zu inszenieren wissen? Oder sind diese Fragen tatsächlich schon lange überholt, ohne daß wir es gemerkt haben, weil wir uns täglich unsere Mütze überstülpen, überstülpen lassen oder wollen? Wie lange wird es noch dauern, bis wir von der Ästhetisierung der Macht und des Verbrechens (Benjamin) sprechen werden müssen?

© Ute Hermanns, Berlin
Cabelo

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