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I

Der Gegenstand: die vom Zweck befreiten Fesseln, die das repräsentieren, was sie als Rahmen sonst zu schützen und zu steigern (veredeln) haben. Jetzt entblösst: das nackte Material, skelettartig, gerüstähnlich. Die Rahmenelemente können auch eine in Buch-staben gefasste Schrift (lettres) bilden, Botschaften und Nachrichten.

Den Rändern entlang arbeiten

Aber wie? Was passiert, wenn ein Mehrwert verrückt spielt, weil der Rahmen (die Begrenz-ung, Ausgrenzung) den Preis (die Wertschätzung) markiert?
Schon die Legowelt der kleinen Kinder - dort wo das Ineinanderstecken der Elemente an die Grenze des statistisch Möglichen geht - kann Katastrophen, aber auch wunderbar fragile Gebilde produzieren. Oder das fragile japanische Mikadospiel.

Beim Wort nehmen

Wenn real die religiös motivierte Bildlosigkeit Kunstwerke verhindert oder, wie im zornigen Protestantismus, wertvolle Bilder zerstört hat und zur Frage gleich die Gegenfrage stellt: was geht uns, die wir mitten in der Bildüberflutung leben, diese Geschichte an?

Das Unmögliche machen und den Rahmen einhalten - oder den Rahmen sprengen?

Behauptung: Das Bildverbot wird beispiellos bleiben. Es wurde, einmal ausgesprochen, sofort unterlaufen oder nie radikal durchgehalten. Die Schrift-Kunst zum Beispiel ist eine der eindruckvollsten Kunstformen, ob es sich um japanische, hebräische, chinesische Schriftzeichen oder um Schriftzeichen aus irgendeinem Land handelt.
Kleinkinder kritzeln und formen mit allem, was ihnen in die Finger gerät (ob Kot, Urin oder Abfall) Zeichen und Figuren, sehr zur Freude der Psychiater. Unter anderem.

Das Bildverbot wird, uneingelöst, trotzdem bei-spielslos bleiben, weil die Idee nicht mehr verschwinden wird.

 

II

Das im Projekt verwendete Material - Rahmen und Rahmenelemente-, werden die Umrandung nicht radikal sprengen können. Oder nur als Konzept. Jedes einzelne Rahmenelement ist ein Virus, der das Bild zurückbringt. Jedes einzelne Element am Boden oder an einer Wand wird zum Bild. Das gleiche im Wort.
Becketts No more words, radikal durchgesetzt, würde auch den Satz No more pictures unmöglich, also ungeschrieben lassen. Als zweifach Ampurierte wären wir weg, im besten Fall freiflottierende Hirne, die virtuell kommunizieren.

Wir sind wie eh präsent: im Wort. Im Bild. Als Körper.

Rahmen signalisieren Umgrenzungen

Als vorgegebene Rahmenlemente haben sie Signal- , beziehungsweise Zeichencharakter. Gregory Bateson in seiner “Ökologie des Geistes” (Steps to an Ecology of Mind), nimmt die Fragen seiner Tochter auf:

Tochter: Pappi, warum haben Dinge Konturen?

Vater: Haben sie? Ich weiss nicht. An was für Dinge denkst du?

Tochter: Ich meine, wenn ich Dinge zeichne, warum haben sie Konturen?

Vater: Gut, was ist mit andern Dingen - etwa mit einer Schafherde? Oder einem Gespräch? Haben sie Konturen?

Tochter: Sei nicht albern. Ich kann doch kein Gespräch zeichnen. Ich meine Dinge

Vater: ....meinst du “Warum geben wir Dingen Konturen, wenn wir sie zeichnen?”, oder meinst du, dass die Dinge Konturen haben , ob wir sie nun zeichnen oder nicht?

Tochter: Ich weiss nicht, Pappi. Sag du es mir. Was meine ich?

Spannend in unserem Zusammenhang ist das Nichteingehen von Beatson auf die Antwort der Tochter, dass sie Dinge und nicht Gespräche meint und damit widerspruchlos Zeichen (Töne und Schrift) ausschliesst.
Unser Projekt dagegen beruht gerade darauf, dass Schriftzeichen (und Zeichen allgmein) zu den Dingen gehören. Nicht wie ein Stein, ein Vogel oder ein Baum; Zeichen signalisieren bereits einen eingeschlagenen Umweg, um sicherer und schneller zum Ziel zu kommen. Der Logik der Logik zufolge sind Zeichen Zeichen von etwas. Stellvertretend, vertreten sie etwas, sagt die klassische Semiotik. Der französische Philosoph Derrida, east of west, negiert diese Auffassung und behauptet, dass das Zeichen am Anfang steht.

 

III

Die Kunst übernimmt die Zeichen zwecklos und spielt mit ihnen, seit Paul Klee, den russischen Konstruktivisten bis Henri Michaux und der amerikanischen Popart, ganz abgesehen von den unbestritten grossartigen, aber in genauen Grenzen arbeitenden Kalligraphen.

 

IV

Die feierlichen Geographien der menschlichen Grenzen

“Die Bilder löschen die Welt aus. Sie haben keine Vergangenheit. Sie kommen aus keiner früheren Erfahrung. Man weiss mit Sicherheit, dass sie metapsychologisch sind. Sie geben uns eine Lektion der Einsamkeit.”
Anzunehmen, dass Kunsthistoriker bei diesem Satz von Maurice Blanchot aufjaulen. Sei's so. In der Literatur sind Bilder Bilder, heute genau so prekär und fragil wie in der Kunst.

 

V

Seit man entdeckt hat, dass das Sichtbare in seiner prägnantesten Gestalt hervortritt, sobald es sich entfernt und Abstand und Umriss gewinnt, ist vieles anders.
Aber worin besteht dieses konkrete Distanzieren? Was lässt diese Entfremdung entstehen und gibt ihr Existenzberechtigung? Welches Ziel setzt sie? Es werden offensichtlich keine Bilder gemalt, sondern lediglich Vorbereitungen dazu: die äussersten Konturen.
Aber das allein träfe es nicht.
Dass Kunst nicht mehr fähig ist, Absolutheit zu ertragen, ist nicht neu. Dass sie beliebig (funktional und vom Markt “geführt”) neben andern Medien steht, also Hilfskraft der Kultur und Ökonomie wird, dämmert erst langsam und nicht ohne Widerrede. Andererseits: die Absage an jede Hilfe und Anstoss von aussen ist nur um den Preis der Isolierung möglich. Dargestellt wird in diesem Fall etwas, dem jede Rechtfertigung fehlt. Die Kunst, sagt Maurice Blanchot, leugnet nicht die moderne Welt, auch nicht die Welt der Technik, auch nicht den Drang nach Befreiung und Umformung, die sich auf die Technik stützt; sie verleiht Beziehungen Ausdruck oder erfüllt sie und gehen, so die optimistische Annahme, der objektiven und technischen Erfüllung voraus. Ein hoher Anspruch und einigermassen einlösbar nur, wenn sie in bruckstückhaften Ansätzen immer wieder von Neuem versucht an die Grenzen zu gehen und sich aufs Ephemere einlässt.
“Mein gesamtes Werk ist nur eine Übung”, sagt Paul Valéry. Der Maler zum Beispiel kennt die Malerei, das entstehende Bild kennt er nicht und so weiss der Maler, dass Malerei unmöglich ist, nicht realisierbar, unwirklich. Sie entzieht sich, genau so wie sich für den Schriftsteller die Texte entziehen.

Aber drinnen, keine Grenzen mehr (Jean Tardieu)

 

VI

Für die Schriftsteller und stellvertretend für die andern Künste sagt es Beckett: “Da ich nicht weiss, wie sprechen, da ich nicht sprechen will, muss ich sprechen. Niemand zwingt mich dazu... das ist ein zufälliger Umstand, das ist eine Tatsache.”
Auch das Bild oder die Figur bleibt ohne distinkten Maler oder Bildhauer, weil es vom Aussage-schwund her gemacht wird (selbst wenn dieser Schwund auch in der Überfülle bestehen kann). “Zuviel Raum beengt uns sehr viel mehr als wenn nicht genug Raum da ist”

 

VII

“Das Leben ist wahrscheinlich rund”, schrieb van Gogh. Angenommen wird, dass Bilder der vollen Rundung uns dazu verhelfen, uns um uns selbst zu versammeln, uns von innen her zu bestätigen. Von innen aus, ohne Aussengestalt, könne das Dasein nur rund sein. Der Vogel, sagt Michelet, sei ganz kugelförmig. Ein höherer Grad von Einheit lasse sich nicht finden, ein Übermass an Konzentration mache die grosse Stärke aus, enthalte aber als soziale Schwäche seine Isolierung.
“Mir träumte ein Nest, wo die Bäume den Tod abwehren”

Muschel, Ei, Embryo: das Runde auf der einen und auf der andern Seite: der Winkel, Keim des Hauses und der Zimmer. Sie begrenzen, zäunen ein, bilden Rahmen. Die höfische und die bürgerliche Gesellschaft, die mit Bildern ihre Wohnungen und Räume schöner und interessanter zu machen versuchten, hängten an die Wände auf Rahmen aufgespannte Leinwände, die zur Abrundung in kunstvolle Rahmen eingefasst wurden. Die in der Renaissance in den Bildern auftauchenden Landschaften öffneten, in imaginierten Räumen, ein erträumbares Anderswo.
Der scheinbar präzisen Wiedergabe des Gesehenen und Imaginierten war begleitet von der Linie, dem Gegenteil eines Rahmens. Zwar kann man die Rahmen krümmen (in Oval oder in einen Kreis bringen): sie bleiben der Symmetrie verhaftet, heben hervor.
Der Strich sucht sich, vom Zeichnenden so weit es geht kontrolliert oder freilaufend seinen Weg. Aber so merkwürdig es scheint, Strich und Rahmen streifen durch ähnliche Räume. Striche streifen mühelos im Leeren, Rahmen kreieren die Leere.
Die Umkehrung der Dimensionen, das Umstülpen der Perspektiven , liessen Henri Michaux schreiben: “Der Raum, aber Ihr könnt nicht begreifern, dieses fürchterliche Drinnen und Draussen, das der wahre Raum ist.”

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© Urs Jaeggi  /   Website: Universes in Universe