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Morandis Flaschen, Duchamps 'Fresh Widows' und der Turmbau zu Babel

Vortrag auf dem XXII. Internationalen Kunstgeschichts-Kolloquium des Instituto de Investigaciones Estéticas, UNAM
23. - 27. September 1998 in Queretaro, Mexiko


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Vom Weiss in die Fläche, in der alles notiert ist

Nichts ist mehr, wie es war. Nichts ist mehr, wie es ist. Es ist eine Weile her, seit man unbefangen davon ausgehen konnte, dass Kunst mit Wahrheit zu tun habe, Wahrheit ihr Gehalt sei. Wahrheit ist ein erkenntnistheoretisch Absolutes, das die Philosophie und damit ach die Aestetik als Teil von ihr nicht einlösen kann. Und die Kunst?
Sie hat das gleiche Dilemma. Der Minimalismus bildet vielleicht die letzte Episode einer Passion der Form und des Inhaltes, die Schritt um Schritt dem Zerfall des bürgerlichen Bewusstseins folgt. Der Zerfall läuft, ist gelaufen. Die Frage ist weniger, was bleibt; als die Frage, was ist, was wird.
Tätig sein, handeln. Wirklichkeit hatte mit "Werkelichkeit" zu tun, mit werken, also mit Arbeit. Früher, sehr viel früher, war das Werk auch eine heilige Handlung, man "werkte" Häuser, Bilder und Geräte. Und was jetzt, wenn "Arbeit" den Wert sinnstiftenden Lebens verloren hat? Die Ethik hat darauf basiert, die Aestetik hat drauf basiert. Der Mensch war das arbeitende Wesen.
Jetzt, im Alltag, entfällt durch Rationalisierung und Technologisierung für immer mehr Menschen eine beruflich sinnvolle Tätigkeit. Die Oekonmie entkässt die Entbehrlichen, während in der Kunst unentwegt mehr beschäftigt sind, fremd- oder eigensubventioniert, aber von Sinn ist immer weniger die Rede.
Kunst kommt nicht von Können, schreibt ein Maler. Kunst ist genau das, was man nicht kann. Ihren Absolutheitsanspruch einzulösen gelingt der Kunst nicht, gelang ihr nie, aber sie kann auch nicht darauf verzichten. Kunst ist manisch. Sie geht nach etwas, das nicht wiedererkennbar ist in allem, was wir zu erkennen vermögen und doch bleibt ihr Anspruch. Wacher träumen, ausgezehrt, bis zur Unerträglichkeit. Intensiv, entfesselt. Bleibt dieses Wollen heute ein rückwärtsgerichteter Traum, Insel für einige Obsessive, Verrückte?
"Machen " in diesem Sinn, bedeutet heute immer mehr grenzenloses Spiel der Imagination, Entwürfe, Konzepte und Ephemeres: spielerisch enthaft Erwogenes, Entworfenes, Skizziertes und partiell Realisiertes. Auch hier Schrankenlosigkeit, aber nicht beliebig. Sehen heisst heute zum Beispiel immer stärker auch das Gegenteil: überspringen, wegsehen, reduzieren, auch wenn Bilder vom Verschwinden der Bilder Bilder bleiben. Image-Killing, extremes Reduzieren, mag von Fall zu Fall gelingen, aber aufs Ganze gesehen findet das Gegenteil statt. Das Ueberdrehen der schon überdrehten Bildwelt ist dabei nicht bloss riskant, weil es sich aus der vorgegebenen Überdrehung nicht lösen kann. Es führt zur Schizophrenie. Das "Einziehen", Konsu-mieren , aber auch das Produzieren eines Übermasses an Bildern führt zu Bildstörungen. Zwar kann man annehmen, dass der Datenaustausch via Internet hat keine Folgen hat für die Wirklichkeit ausserhalb des virtuellen Kreislaufes (Wyss), jedenfalls dann nicht, wenn die fiktionale Bildwelt sich nur selber generiert. Ziel ist ein System, das à la longue vorgegebenerweise den Menschen eliminieren soll. Der weitest Punkt ist erreicht, wenn ausschliesslich Maschinen mit Maschinen kommunizieren . Mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft, prophezeite Nitzsche sehr früh, aber so leicht gelingt das weder im einen, noch im andern Fall. Schon langsam beschäftigt uns aber die Frage: Was geschieht in der nicht mehr humanen Welt mit den Humanen. Was wäre eine Welt, in der wir nur mehr zugucken, was die Maschienen untereinander produzieren.

Um vier Uhr in der Früh gehört die Stadt niemandem

Wir träumen vom Paradies, rückwärts und vorwärts, und kein Wunder, dass früh die elektronischen Medien als Pfingstwunder weltweiter Verständigung und Verbreitung gefeiert wurden. Wir gewinnen damit den Zustand vor dem Turmbau zu Babel zurück, sagt Wolfgang Welsch , und wenn nicht direkt das Paradis, so doch einen vergleichsweise paradisischen Zustand. Schon Allgemeinwissen ist, dass die räumliche Distanz an Bedeutung verliert. Von überall her, von allen Orten aus, kann man Erfahrungen herstellen und austauschen. Die raum-zeitlichen Unterschiede kollabieren. Und das meiste Wissen, über das wir verfügen, wird immer stärker aus diesen Quellen kommen. Von da aus gesehen, ist die Virtualisierung irrevisibel, genau so wie es sicher ist, dass die Differnz zwischen Simulation und Realität schwindet, noch wenn wir heute glauben, das eine vom andern unterscheiden zu können.


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Ein momentlang ganz Auge

Sie weinten in aller Oeffentlichkeit bei Stalins Tod

Im Inferno zur Heckenlücke


Virtualisierung ist der eine Strang. Die Entwirklichung, die Entmaterialisierung ist voll im Gang. Parallel dazu und aus den gleich Resourcen schöpfend, läuft ein Aufklärungsstrang, der immer wichtiger wird und in seiner Radikalität zwar nicht unterschätzt, aber , voreingenommen, meist positiv oder negativ polemisch überspitzt wird. Es geht um die scheinbar fugenlose Erfahrung, die sich aus der Synthese aus Fern-sehen, Werbung und Konsum, Technik und Wissen ergibt. Und es gehr dabei genau um die Inhalte, die in Europa von der kritischen Theorie als Fehlentwicklung der Moderne von Anfang an kritisiert wurde. Inzwischen ist die Philosophiegemeinde ruhiger und pragmatischer geworden. Ist sie zu ruhig, zu selbstreferentiell, zu sicher, dass sie die Evolution bloss kommentierend mitmachen muss?

Man kann und man muss es zunächst einmal positiv sehen. Zum Beispiel di "Populärkultur", Pop - hier breit gesehen - als gradlinige Aneignung des Gegebenen und als " Paradigma einer Umwälzung, deren Kraft die Jahrhundertschwelle überfliessen wird.," hat sich weltweit durchgesetzt, nachhaltiger, als meist zugegeben wird. Pop, sagt Beat Wyss, - ist Amerikas massiver Beitrag zur Kurskorrektur der Aufklärung, die weniger die Gleichheit als die Freiheit, weniger den Gemeinwillen als "the pursuit of happiness" anvisiert. Nicht politisch zentrale Kontrolle, sondern Wettbewerb der Egoismen, sagt Beat Wyss. "Pop ist das Versprechen auf Teilhabe am Konsum aller, die nach Gl?ck streben; die dahinterstehende Warenästhetik integriert alle Formen der Ethnokultur: der Slang der Rapper aus der Bronx, das Karoake aus Tokio, die Sowjet-Nostalgi" . In gewisser Weise füllt sich der Graben zwischen Erster, Zweiter und Dritter Welt auf. Gleiche, zumindest ähnliche Musik all over the world, gleiche Produkte, ähnliche Werbung, und, zumindest in den grösseren Zentren, ähnliche Kunst, die dem mainstream folgt.. Die vorwiegend in Europa besetzten "Klöster der Hochkultur", die strikt die Trennlinie "E-und U-Kultur überwachten, geschliffen und vergessen. Pop als Universalcode, als kleinster gemeinsamer Nenner aller an den globalen Konsumkreislauf angeschlossenen Gesellschaften. Sie ist die neue Hochkultur der urbanen Grosstadtkultur. Theater und Musik zeigen dabei das Neue vielleicht deutlicher als die bildende Kunst . Das Zeitalter des nachmodernen Barocks verlange nach einem Sensualismus, sagt Beat Wyss; das Schöne als Zustimmung zur Welt bedeute eine neue Vergesellschaftung. Ähnlich sagt Oktavio Paz: nachdem der Mensch sich nicht mehr metaphysisch, sondern nur noch historisch definieren lasse, müsse das Wort "Sein" mit "zwischen" ersetzt werden. Der Mensch zwischen den Menschen wird hier nach dem Verbindenden gefragt. Das was gefällt, ist entprivatsiert, allen zugänglich. Die Kultur des Sehens und Hörens wird vernetzt mit den drei sogenannt niederen Sinnen: Geschmacks-, Geruch und Tastsinn. Gegen die Einsamkeit digitaler Paradiese bleibt hier die Bodenhaftung mit Menschen, die auch Zunge, Haut und Nase sind. Es ist die Wiedergewinnung des Sinnlichen, des Anrüchigen, Schmutzigen, Dreckigen. Während die Aesthetisierung der Moderne abhob auf zivilisatorische Verfeinerungen, die Werbung und Design erfassen, allerdings für eine privilegiertes Publikum, ist hier eine viel sinnlichere, elementarere "Alles ist Kunst"-Aussage gemacht. Kunst ist Dekoration und Kritik, Stiefellecken, also Unterwerfung unter Institutionen wie auch Umsturz (Beat Wyss). Und alles gleichzeitig, wie das Durcheinander, das unsere Gesellschaft insgesamt prägt . Und das Neue: Kunst ist zum ersten Mal nicht ein Teil des Betriebes, sondern durchzieht und durchtränkt den Betrieb als Ganzes, die schroffe Grenze zwischen Herstellen und Geniessen wird durchbrochen und insgesamt brüchiger.

An eine Wand gelehnt eine Spur ziehen, nach und nach

Ereignis, Kunst und Werbung kreuzen sich, laufen ineinander und durcheinander. Heute ist Alltag, was einst Privileg der Flaneure war. Plakate und Werbung insgesamt sind Anlass für das Fest des Lebens. Nichts wird ernst gemeint, jedenfalls nie ganz, es sind Anregungen, ein kaleidoskopisches Chaos. Werbung macht in ihrer Summe nicht aufmerksam, sie zerstreut, versetzt in ein diffuses Wohlgefühl und ist Beispiel dafür, was passiert ist und passieren kann. Wyss pointiert das Neue so: die Avantgarde ist gescheitert, weil sie Lebens mittels Kunst herstellen wollte: Aufhebung des Trivialen durch künstlerische Eingriffe, während Pop den umgekehrten Weg geht: Einheit von Warenproduktion und Kultur, wobei die Kunst verschwindet: "Alles andere ist alles andere. Pop ist die inmittelbare, kreative Anwendung der Distributionsmittel, die die Konsumkultur zur Ästhetischen Information und Unterhaltung bereitstellt." Zum Beispiel Mexico: im Alltag verachtet man die Gringos und deren Kultur, und, riesengross an allen Strassenrändern, sind der Produkt und die ästhetische Wirkung Herrscher, ebenso wie in den Einkaufsmärkten. American lifestyle an allen Ecken. Das Angebotene ist vorhanden, aber nicht unbedingt als tatsächliche Konsumware. Die pausenlose Berieselung machen den angebotenen Überfluss abstrakt, zeigen die Unverfügbarkeit: Idealer Genuss und realer Verzicht fügen sich zu einer stabilen Stimmung des aktiven und passiven Genusses, verbreiten Wohlbehagen und Melancholie . Und die Kunst? Die Kunst macht mit, ist Teil des Motors. Sie spielt, sie tanzt, sie provoziert , notfalls ins Leere. Sie will, einerseits, noch immer auch aufklären, sie will auch ihre Selbständigkeit, ja Autonomie verteidigen. Aber Kunst als Kunst, esoterisch, selbstreferentiell, spielt ihr Spiel mit offensichtlich immer schlechteren Karten und spielt trotzdem. Sie spielt, reizt aus, sucht das Allerausgefallenste, und dieses reizt, wenn überhaupt, gerade noch die Kunstkritik und die Exegeten.. Auch im Interaktiven bleibt sie, wenn sie nicht in der Verschmelzung Design, Werbung, Produkt bedingungslos mitmacht, auf der Strecke.


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Ein Spiegel von Lichtern, langsam in die Biegung immer schneller

Die Provokation ist offensichtlich. Einerseits leben wir mitten drin, andererseits ist genau diese Ausuferung und Amerikanisierung, auch wenn man nicht mit den alten Augen der Kulturkritik guckt , Stein des Anstosses. Pop, so phantastisch es ist, dass die Populärkultur im Pop eine Weiterentwicklung wenn nicht Metamorphose gefunden hat, die sie aus aus dem "niedrigen", volkstümlichen, dilettantischen zur zur wichtigen und in vielem globalen Kunst hat werden lassen, ist nicht nur eine junge Kultur, sondern auch eine zynische.
Schweine im Pferch , ein "Höhepunkt der letzten Dokumenta ist dabei noch harmlos, blutende Fötusse und Masturbation mit einer lebenden Ratte schon grauslicher, auch wenn es in der Präsentation meist eher harmlose, weil erwartete "Exzesse" inszeniert. Jeder Aufenthalt in Slumquartieren ist tatsächlich realitätsnäher, zeigt die Ästethik des Schreckens eindrucksvoller als die Galerie- oder Theaterfeiern des Ekelhaften und Bösen.
Andererseits spielen ähnliche Motive oft ebenso naiv mit Alltagsprodukten, als hätten sie nichts anderes als Dduchamps und Freuds Popukärkenntnisse eingelöffelt.
Kunst, im allesaufsaugenden Markt, nur noch Spielwiese, die immer selbstvergessener Ereignis und Konsum zusammenbringt?
Die WWW - Welt , die ein hohes Mass an Konzentration , und mit der Entmaterialisierung ein immer abstrakteres Denken fordert, ist dabei noch immer ungemein seriös, während Pop-Kultur ,offen und uferlos, integraler Teil des Alltagsleben scheint.
Während die WWW - Welt noch immer nah an der Philosphie des Verschwindes und Teil dieses Prozesses ist, gibt sich Pop gegen das Immaterielle, wenn auch deren Techniken nutzend, als schrankenlos sinnlich. Lebenshunger pur, was immer das jeweils konkret bedeutet. Und jene Kunst, die sich uneinlösbar moralisch-politischen Fragen noch stellt, ist inzwischen im einen und im andern verankert, versucht sich im Dazwischen. Ein ehrenhaftes uind notwendiges Unterfangen, aber um welchen Preis und mit welchem Erfolg?

Der hemmungslose Pop wird, kann man vermuten, auch wenn der Sog anhält, am Überfluss ersticken. Die Entwicklung der Virtualisierung wird dagegen, je stärker sie fuss fasst und sich raffiniert, andere Erfahrungen wieder wichtig werden lassen. Zwar können die elektronischen Medien auf alle Gegenstände zugreifen, aber nur auf ihre Weise. Sie tun, was ihnen programmiert wird und was sie zunehmend selbst programmieren können. Virtualisierung bleibt selbstreferentiell. Noc wenn es dabei plausibel scheint, dass der Datenaustausch im Internet keine Folgen hat für die Wirklichkeit ausserhalb des virtuellen Kreislaufen und dass dies das solipsistische Allmachtsgefühl des Zugriffes auf die Welt steigert: die Desk-commander streuen, umstellen uns mit Bildern, lassen uns virtuelle Bilder träumen oder herstellen, und die Passiven, die Couchpotatos konsumieren . Eine künstliche Welt, künstlicher als unser Alltag, der künstlich genug ist. Aber gleichzeitig ist den Beteiligte meist noch klar, dass es sich um eine künstliche Welt handelt, und zwar um eine unter anderen. Dass dabei ältere Weltsichtserfahrungen wie die von Leibniz oder Borges, wonach das, was dem einen Bewusstseinszustand als real gilt, in Wahrheit Traumgebilde eines anderen Bewusstseinzustandes sein könnten an Plausibilität gewinnwn, ist offensichtlich. Die unsicher und durchlässige Grenze zwischen Virtuellen und Realem sind phantsie- und angstbesetzt und ein Territorium, auf das sich die Poesie, die Philosophie und die Kunst begibt und begeben muss.Virtuelles versrärkt die Sehnsucht nach Realem, oder wenigstens nach Realerem. Einfach gesagt: das mehr an Virtualität, ihre zunehmende Allegenwart, lässt uns zum Beispiel die konkreten, ertastbaren Materialien neu einschätzen, unsere Sinne können sich, von der virtuellen Erfahrung beeinflusst oder nicht, neu auf Pausen, auf Langsamkeit, auf Stille und Verstummen oder, im ander extrem, auf Turbulenzen und Konvulsionen einrichten.einrichten. Welsch fasst es so zusammen: "Telematische und leibliche Welt stehen im Kontrast. .. Wenn heute telematisch die Entfernungen schwinden, so schrumpfen darob doch nicht auch unsere Körper. Wenn die Prozessoren immer schneller werden, so doch nicht auch unsere Sensoren und unsere motorischen und psychischen Fähigkeiten. Wenn die Verarbeitungskapazität der Rechner ins Gigantische wächst, so doch nicht auch unsere Lebenszeit, unsere Reaktionszeit, unsere Begreifenszeit.

Morandis Vasen, die Obsession des Festhaltens eines Bildes, einer Vision, der Beinahestillstand, die Beinahe Ruhe, das Beinaheverstummen. Heute noch gültig, in dieser Intensität nachvollziehbar, weil als Obsession nicht verloren? Weil es Bilder, Sehnsüchte, Ängste und Utopisches gibt?

Der endlose Diskurs im kleinen Kreis darüber, was erlaubt und was vieux jeu ist, wecken den Verdacht, die Kommentierung werde zum Vollstrecker, trete an die Stelle der Werke selber, und verstäkt wird diese Vermutungzweifellos dadurch, dass die Kritiker ud Ästhetikpäpste selber unmittelbardurch Verdikte und Gruppierungskonzepte viel unmittelbarer eingreifen als je zuvor. Nicht grundlos. Die Kommentierungsbedürftigkeit der modernen Kunst, auf die in den fünfziger Jahrenzurückgegriffen wurde, ist heute (trotz eines unverkennbaren Orientierungsbedarfes) weniger das Problem; Hand in Hand mit der Popkultur, die sich nur scheinbar mühelos durchsetzt, zeigt ganz offensichtlich die Notwendigkeit, gesellschaftliche-, aber auch naturwissenschaftliche Konzepte nicht bloss ernst zu nehmen, sondern einzelne Ergebnisse bis in die Grundannahmen hinein aufzugreifen. Zu leicht wird dabei "Verkopfung" geschrieen, Überintellektualisierung. Allerdings mag es sein, dass sich diese Annäherung, wie die fast bedingungslose Angleichung an konkret politische Strömungenin den sechziger und siebziger Jahren, als Sackgasse herausstellt.
Herausforderungen nicht auszuweichen, war allerdings immer ein innovatives Moment für die Kunst. Sie riskiert dabei, soweit sie es kann, Kopf und Kragen.
Der andere, fast sicher scheinende und deshalb nicht ungefährliche Anker ist die Pesie, die heute unbefangener als je zuvor Musik, Wort und Bild nicht nur im Gedicht zusammenbringt. Eine eigenwillige, zersplitterte Poesie, worbrüchig, verletzt, auch verhunzt als Mitträger der Popkultur. Aber es wird die Einsamen, Widerborstigen, gewalttätig Aufbegehrenden brauchen. Es wird die Wut, aber auch das unbedingt Poetische brauchen, weil der Untergrund, zuverlässiger Liferant für Innovationen, sich nicht endlos aus dem ethnokulturellen Mix heraus erneuern kann. Und vielleicht ist es auch tatsächlich für eine Weile wichtig, die hyperklugen Ratschläge beiseitie zu lassen. Werkeln, skizzieren, erfinden, ohne gleich den Schutz der alles einhüllenden Kommentatoren und Verbraucher zu suchen. Watered down:: eigensinnig.
Und das, bei allen Turbulenzen und Eintönigkeiten auch Vorhandene. Jemand, schreibt Borges, nimmt sich vor, die Welt zu zeichnen. Im Laufe der Jahre bevölkert er einen Raum mit Bildern von Provinzen, Königreichen, Gebirgen, Buchten, Schiffen, Inseln, Fischen, Zimmern, Instrumenten, Gestirnen, Pferden und Menschen. Kurz bevor er stirbt, entdekct er, dass dieses gedduldige Labyrinth aus Linien das Bild seines eigenen Gesichtes wiedergibt.
Es ist nicht ausszuschliesse, dass in unseren sbstrakten und virtuellen Versuchen das Gleiche geschieht. Kein Grund zum Jubeln, eher vielleicht ein Zeichen dafür, dass es unaufhörlich weitergeht, solange es uns gibt. Man hört nicht mehr schiessen

Die Vulkane halten ihre Augen offen

Bulldozzer auf dem Rücken

Wenn die Stille sich wieder schliesst

Ein Kind sagt Zeit

Das Auge der Guillotine sitzt im Messer

Urs Jaeggi
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© Urs Jaeggi  /  Website:  Universes in Universe