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Warum noch eine Biennale, Mr. Lee?
Interview der nbk mit Chefkurator Yongwoo Lee über die 1. Gwangju-Biennale

 

 

Vom 20. September bis zum 20. November findet im südkoreanischen Gwangju die 1. Biennale statt. Die Stadt baute dafür extra ein Museum. 100 Künstler aus 50 Ländern bespielen diese Biennale, für die neben einem 15köpfigen internationalen Beraterkommitee und dem Chefkurator noch 7 regionale Kuratoren tätig waren. Das Verhältnis von Künstlern zu Vermittlern hat sich damit auf 1:4,3 erhöht. Für den europäischen Beitrag zeichnen Anda Rottenberg (Warschau) und Jean de Loisy (Paris) verantwortlich. Afrika steht unter englischer (Clive Adams) und Südamerika unter koreanischer (Sung Wan-kyung) ägide. Gwangju will eine Biennale der jungen Kunst sein, trotzdem dürften aufgeübte Kunstreisende aus Europa und den USA zwischen Chuck Close, R. Tiravanija, D. Gordon, den Hohenbüchlers, Jeff Wall, G. Orozco, Beat Streuli und Pedro Cabrita Reis nur wenige überraschungen warten. Eher wird das in den Beiträgen aus Asien und Afrika und vor allem den Sonderausstellungen der Fall sein. Nam June Paik kuratiert "InfoART", und "Art as Witness" heißt die historische Ausstellung zum 20. Jahrhundert. Daneben erinnern Sonderausstellungen an das Massaker von Gwangju 1980 oder widmen sich Aspekten koreanischer und ostasiatischer Kunst.

Das Gespräch zeichneten wir im August 1995 in Seoul auf.

nbk: Was ist das Hauptthema iher Ausstellung, warum überhaupt eine weitere Biennale?

Yongwoo Lee: Wir hatten zwei unterschiedliche Motive, als wir als Thema der Biennale "Beyond the Borders" formulierten: Das eine war ein sogenanntes "Post-"Festival zu inszenieren, d.h., die neue Rhetorik des "Post-" zu beschreiben, die die Moderne seit den 6oer Jahren abgelöst hat. Seit den 70er und 80er Jahren standen wir im Bann der Postmoderne, doch die 90er können als Zeitalter des Postkommunismus, der Postideologie, des Postkolonialismus etc. betrachtet werden. Die Frage liegt nahe, was Kunst heute zeitgemäß macht, was ihre Funktionen heute sind. Und zum zweiten ist die Biennale eine friedliche Erinnerung an die schreckliche Tragödie der Demokratiebewegung in Gwangju am 18. Mai 1980, sie soll ein Forum der überwindung von politischen, sozialen, historischen und ethnischen Teilungen sein.

nbk: Trotzdem stellt sich die Frage nach der spezifischen Annäherung, sonst ist sie nicht mehr als ein weiteres austauschbares "event".

Y.L.: Wir haben keinesfalls die Illusion, die Kunstwelt von Grund auf zu verändern. In Anbetracht der Tatsache, daß wir neu im Geschäft sind und uns erst Glaubwürdigkeit und Aufmerksamkeit verschaffen müssen, wollen wir unsere Ausstellung dadurch unterscheidbar machen, daß wir uns auf die Zukunft konzentrieren und nicht auf die etablierten Künstler. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer liegt bei nur 37 Jahren. Und da das Establishment sehr eurozentristisch ist, sind wir sehr bestrebt, junge Künstler von Orten außerhalb der Zentren zu holen, wie beispielsweise aus Afrika, Asien... Aber wir wollen dabei nicht in die Schublade des Antiwestlichen gesteckt werden, obwohl wir stolz darauf sind, daß wir die einzige Ausstellung dieser Größe und dieser Art im asiatisch-pazifischen Raum veranstalten.

nbk: Wenn Zukunft, warum dann die altertümliche Form Biennale?

Y.L.: Ich glaube ganz im Gegenteil, daß eine Biennale sehr wohl ein Forum für die Zukunft ist. Wir sehen das Informationszeitalter heraufkommen, in dem der ständige freie Fluß der Information das wichtigste sein wird. Kommunikation wird durch die neuen Medien ermöglicht, aber ebenso durch Vermittlungssysteme, wie eine Biennale eines ist. Nam June Paik hat einmal gesagt, daß durch das Fernsehen wahrscheinlich über sieben Millionen Menschenleben gerettet wurden, weil die Mächtigen es nicht wagen, ihre schmutzige Arbeit von Videobändern aufgezeichnet unter den Augen der kritischen öffentlichkeit zu tun. Natürlich bestehen weiterhin viele Restriktionen für den Informationsfluß, und dadurch entsteht eine Kluft zwischen denen, die über Wissen verfügen, und denen, die das nicht tun. Die Biennale versucht, diese Restriktionen zu überwinden, seien sie politischer oder ökonomischer Natur oder nur der Ignoranz geschuldet. Die InfoART-Sonderausstellung, die Nam June Paik und Cynthia Goodman leiten, ist das perfekte Beispiel, wie Information und lnformationstechnologien einem großen Publikum zugänglich gemacht werden können.

nbk: Wie steht es um die nordkoreanischen Künstler, wie gehen Sie mit der Grenze in Ihrem eigenen Land um?

Y.L.: Die nordkoreanische Kunst kann entweder als "schöne" oder als kommerzielle Kunst betrachtet werden. Die "schöne" Kunst ist die offizielle, die der Staat fördert, weil sie die "Juche-Philosophie" (d.i. Kim I1 Sungs Konzept der Autarkie des Nordens) der Eigenständigkeit unterstützt. Die kommerzielle Kunst besteht ironischerweise aus den traditionellen Genres, wie z. B. der Landschaftsmalerei. Letztere schließen wir in die Ausstellung ein, während ausgesprochen politische - also offizielle - Arbeiten von unserer Regierung verboten werden. Das ist ein Schritt, wie klein er auch sein möge, zur überwindung der politischen Unbeweglichkeit.

nbk: Gibt es in Korea genug aufnahmefähiges Publikum für solch eine Großausstellung?

Y.L.: Wo gibt es das schon? Wir können nur den Versuch machen, moderne Kunst dem großen Publikum vorzustellen und hoffen, daß über die Zeit Verständnis und Anerkennung wachsen werden. So gesehen ist Gwangju ein Ort wie jeder andere. Andererseits hat Gwangju eine stolze Kunsttradition. Es gibt jedoch noch weitere Gründe, die Biennale dort zu veranstalten. Die Biennale in Venedig ist sowohl ein großer Touristenmagnet als auch ein großes Ereignis in der modernen Kunst. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß die Stadt großes Prestige aus ihrer Biennale gewinnt. São Paulo ist durch seine Biennale ein wichtiges Kulturzentrum in Südamerika geworden. Für Gwangju ist zu hoffen, daß die Biennale ein Forum der freien Auseinandersetzung wird - ein Gegenentwurf zum Horror des Massakers, das die Militärregierung 1980 an Demonstranten verübte.

nbk: Sie haben Kuratoren berufen, die aus den beteiligten Regionen stammen. Könnte es nicht für die internationale Öffentlichkeit interessanter sein, den koreanischen Blick auf die Weltkunst zusehen?

Y.L.: Am Anfang hielt ich diese Teilung für risikoreich. Aber dann kam ich zu der Auffassung, daß die verschiedenen Kuratoren ihre eigenen Länder am besten kennen, und da sie sich mit dem Thema der Biennale identifizieren, können sie es in ihrer Auswahl auch am besten umsetzen. Ich weiß nicht, ob wir das beibehalten werden. Das werden wir später sehen. In der Ausstellung sind die regionalen Bezüge aufgelöst, die Werke sind nach Themen geordnet, wobei in jeder Abteilung mehrere Länder vertreten sind. Themen sind zum Beispiel "Classicism", "Obsession", "Romance", "Crazy Science", "Politics" u. a.

nbk: Und wer bezahlt das Ganze?

Y.L.: Das gesamte Budget liegt bei etwa zehn Millionen US-Dollar. Die Biennale wird von einer Stiftung getragen, deren Aufsichtsrat aus 20 Mitgliedern besteht. Die meisten von ihnen sind Chefs von Firmen, die Geld geben. Das Budget ist eine Mischung aus staatlichen und privaten Geldern, überwie gend privaten. Die Admi nistration erhält vor allem Unterstützung von der Stadt.

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Gwangju Biennale
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